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Kultur

»Wir sind die Alternative zur Überforderung«

Am 10. November startet das Transcentury Update – Kurator Christian Kühr gibt eine Ausblick auf das Festival

  »Wir sind die Alternative zur Überforderung« | Am 10. November startet das Transcentury Update – Kurator Christian Kühr gibt eine Ausblick auf das Festival

Unter dem Titel Transcentury Update firmiert seit 2016 ein Musikfestival im Leipziger Süden, das vom Musiker, Dozenten und Booker Christian »Kirmes« Kühr kuratiert wird. Wir sprachen im Vorfeld mit ihm über die künstlerische Ausrichtung, Pandemie-bedingte Planungsschwierigkeiten und den Anspruch, das Publikum nicht zu stressen.

kreuzer: Liege ich richtig in der Annahme, dass es sich beim kommenden Transcentury Update um die fünfte Ausgabe handelt? Die Absagen der vergangenen Jahre haben das Mitzählen ja etwas erschwert ...

Christan Kühr: Ja genau, das Festival im November wird das fünfte sein, wobei wir ja sowohl 2020 als auch 2021 schon unser fünfjähriges Jubiläum begehen wollten. In beiden Jahren musste das Festival dann aber aufgrund der Corona-Verordnungen teils kurzfristig wieder abgesagt werden. In diesem Jahr haben wir allerdings mit der Nummerierung aufgehört, weil das zu frustrierend war (lacht). Stattdessen haben wir uns für den Untertitel »back to listening« entschieden.

Und wie ist das Festival organisatorisch aufgestellt?

Der Veranstalter ist tatsächlich das UT Connewitz. Ich selbst bin aber seit der ersten Ausgabe sozusagen der Kurator der Veranstaltung. Zugleich bin ich aber auch Mitglied des Vereins im UT. Die Veranstaltung setzt sich also letztlich zusammen aus den Leuten des UT, die dort auch die anderen Veranstaltungen betreuen, und mir als Kurator.

Was hat es mit dem mysteriösen Namen Transcentury Update auf sich?

Den Namen haben wir uns geklaut von einer alten TV-Sendung, die leider nie so richtig populär wurde. Die Sendung hat sich damals mit Themen wie Fortschritt und Transhumanismus auseinandergesetzt. Bezogen auf das Festival haben wir den Namen dann so begriffen, dass wir mit jeder neuen Ausgabe sozusagen ein neues musikalisches Update geben. Wir haben dafür bewusst das Konzept gewählt, dass es bei uns keine Programmpunkte gibt, die sich zeitlich überschneiden, wodurch man – wenn man es denn möchte – alle Konzerte besuchen kann.

Diese Form von Linearität ist ja in Zeiten von Streaming fast schon retro.

Ja genau, wir versuchen damit schon auch einen Gegenpol zu schaffen gegenüber der Schnelllebigkeit, die wir alle ja aus unserem Alltag kennen. Nicht zuletzt ist es uns nach zweieinhalb Jahren, in denen bekanntlich viele Veranstaltungen abgesagt werden mussten, auch wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem man einfach mal wieder hinhören und sich auch Zeit nehmen kann. Uns lag nie etwas daran, so ein Überangebot wie bei anderen Festivals zu schaffen, wo man sich gar nicht alles auf einmal anschauen kann.

Das kann ich aus Besucher-Perspektive nur unterstützen. Ich empfinde es bei großen Festivals oft als überfordernd und stressig, sich zwischen dem Überangebot an Acts entscheiden zu müssen. Und kleinere Acts, die bei Festivals parallel zu Publikumsmagneten spielen, haben es schwer, neues Publikum zu erreichen.

Ja, auf jeden Fall! Natürlich gibt es auch bei uns Acts, die mehr Publikum ziehen als andere, aber durch die Struktur des Festivals gibt es eben auch die Möglichkeit, kleinere, unbekanntere Acts zu entdecken, die man vorher vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatte. Ich will größeren Festivals gar nicht die Daseinsberechtigung absprechen, aber es ist eben eine bewusste Entscheidung von uns, die Gefahr von Planungsstress möglichst auszuschließen. Wir sind da sozusagen eine Alternative zur Überforderung.

Welche Schwierigkeiten organisatorischer, aber auch finanzieller Art gab es durch die beiden Absagen 2020 und 2021?

Es waren viele Aspekte über einen langen Zeitraum, die da zusammenkamen. Aber man kann auf jeden Fall sagen, dass das Level an Frustration schon enorm hoch war, nicht zuletzt, weil wir nach der Absage 2020 fest damit gerechnet hatten, 2021 wieder an den Start zu können, was wiederum kurzfristig ins Wasser gefallen ist. Das war wirklich eine verstörende Erfahrung, denn wir arbeiten hier ja im Kultursektor, der ohnehin nicht mit großen finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Zudem ist der Bookingprozess für so ein Festival enorm zeitaufwendig, wodurch dann auch das Gefühl entstanden ist, dass der ganze Aufwand in den Jahren 2020 und 2021 letztendlich umsonst war.

Im Rückblick betrachtet waren wir da 2020 sicherlich auch naiv, weil wir anfangs dachten, dass die Veranstaltung im Herbst zu weit in der Zukunft liegen würde, als dass sie von den im Frühjahr 2020 beschlossenen Pandemiemaßnahmen noch betroffen sein könnte. 2021 war es dann wiederum eine andere Situation, weil wir im Vorfeld schon das Gefühl hatten, dass es nun mit neuen Schutzkonzepten, der Impfung und anderen Maßnahmen genügend Planungssicherheit gäbe. Daher war dann die aufgrund der kurzfristig beschlossenen Verordnungen des Landes Sachsen unausweichliche Absage ein umso größerer Schock. Wir haben uns dann schon auch Gedanken über Alternativformate wie Streamingkonzerte gemacht, uns letztlich aber dagegen entschieden, weil wir nicht daran interessiert waren, noch mehr Content zu schaffen, der dann im Internet wieder versackt.
Nun hoffe ich natürlich, dass es dieses Jahr nicht wieder eine unerwartete Absage geben wird. Zwar sind wir immer noch nicht durch mit dem Thema Corona, aber ich glaube, es ist mittlerweile wirklich eine andere Zeit, ein anderes Stadium innerhalb der Pandemie, weshalb ich zuversichtlich bin, dass das Festival dieses Jahr wie geplant stattfinden kann.

Welche Kriterien sind denn wesentlich fürs Booking?

Wir sind für alles offen und wollen uns musikalisch nicht limitieren auf irgendwelche Genres oder eine bestimmte Art von Musik. Was vielleicht das einzige Kriterium ist: Dass wir die Acts, die wir veranstalten, alle im Team irgendwie gut finden. Das kann aber alles Mögliche sein, etwa Alex Cameron, der eher der klassischen Popmusik zuzuordnen ist. Dann gab es da in der Vergangenheit auch schon Künstlerinnen wie Midori Takada aus Japan, die Perkussion und Marimba spielt und eher in der Klassik einzuordnen ist. Wir schauen dann einfach, ob uns die Musik ein bestimmtes Gefühl vermittelt, was natürlich auch sehr stark abhängig von der jeweiligen musikalischen Sozialisation ist. Es gibt dann auch schon mal den Fall, dass wir etwas über Wochen besprechen, dann aber zu der Erkenntnis kommen: Wir finden das gut, aber nicht gut genug. Was darüber hinaus seit Beginn an ein Kriterium ist: dass wir bevorzugt Acts buchen möchten, die vorher noch nicht in Leipzig, manchmal auch noch nicht in Deutschland gespielt haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass wir uns nicht weigern, Acts, die schon einen besonderen Eindruck hinterlassen haben, noch mal zu buchen – wie jetzt bei Crack Cloud: Die haben bereits 2018 auf dem Transcentury Update gespielt. Damals kannten die meisten diese Band noch nicht, doch sie hat einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen. Mittlerweile hat die Band drei neue Alben herausgebracht, auf denen sie sich noch mal enorm weiterentwickelt hat, und deshalb war es nun für uns der richtige Moment, sie für 2022 erneut zu buchen.

Welche Zukunftspläne gibt es für das Festival?

Ganz allgemein würde ich mir wünschen, dass man wieder mehr hinhört. Ich habe den Eindruck, dass alles gerade so einer Schnelllebigkeit unterliegt: Man muss alles wahrnehmen, was im Internet angeboten wird, man verbringt sehr viel Zeit mit seinem Telefon und starrt permanent auf diesen Bildschirm. Daher würde ich mir wünschen, dass wir es mit unserer Veranstaltung für einen kurzen Moment schaffen, den Fokus zu verschieben. Ich weiß natürlich, dass wir damit nur eine bestimmte Klientel ansprechen, und sicherlich ist es eine steile These, aber ich denke, es ist wichtig, wieder einen Schritt runterzufahren und sich auf Dinge wieder mehr zu konzentrieren. Und das schließt wiederum den Kreis zum Festivaltitel »back to listening«: Es soll die Festival-Besucher:innen explizit ermutigen, wieder genauer hinzuhören, nicht zuletzt in Bezug auf die Musik, die ja ein kostbares Gut ist. Mit hinhören meinen wir aber nicht nur die Musik, sondern auch das Zwischenmenschliche und Soziale: Sich austauschen über das, was da auf der Bühne passiert, ist eben auch ein wesentlicher Faktor der Musikkultur.

> Transcentury Update, 10.–13.11, UT Connewitz, Conne Island, Ilses Erika, Galerie Kub, Schnellbüffett Süd, u.a. mit Ezra Furman, Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp, The Comet Is Coming, Christoph Dallach & Andreas Dorau, www.transcenturyupdate.com


Titelfoto: Sebastian Gebeler, Christian Kühr und Almuth Wagner. Copyright: Christane Gundlach.


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