anzeige
anzeige
Kultur

»Ich habe den Kummer in Songs gepackt«

Nach 20 Jahren Electro-Punk im Leipziger Underground ist das Debütalbum von Acid.Milch&Honig erschienen

  »Ich habe den Kummer in Songs gepackt« | Nach 20 Jahren Electro-Punk im Leipziger Underground ist das Debütalbum von Acid.Milch&Honig erschienen

Mit seinen Electro-Punk-Songs liefert der Leipziger Produzent und Musiker Acid.Milch&Honig den Soundtrack für Leipzig, Anfang der 2000er Jahre. Zwanzig Jahre später erscheint sein Debütalbum. Mit dem kreuzer hat er darüber gesprochen, was ihn vorher davon abgehalten hat und was ihm am Mainstream-Pop stört.  

Leipzig, Anfang der 2000er Jahre: Die Stadt ist seit der Wende merklich geschrumpft, viele ehemalige Industrieanlagen liegen brach. Was in großen Teilen der medialen Öffentlichkeit als Infrastruktur- und Wirtschaftskrise diskutiert und verhandelt wird, wirkt sich auf die in der gleichen Zeit florierende Leipziger Underground- und Subkulturszene überaus positiv aus. Neue Hausprojekte entstehen, Kulturschaffende zieht es in die Stadt, die mittlerweile genauso bekannt ist für billige Ateliers und Proberäume wie für legendäre Raves und lange, wilde Partys bis in die Morgenstunden. In jener Zeit oft mit dabei ist Acid.Milch&Honig, ein Leipziger Produzent und Musiker, der – wenn man es retrospektiv betrachtet im musikjournalistischen Jargon so sagen möchte – mit seinen Electro-Punk-Songs den Soundtrack jener Zeit liefert.

»Es war ’ne Aufbruchszeit, es war unheimlich viel los«, erinnert sich Acid – so die Kurzform seines Künstlernamens. Von Hause aus Handwerker, hatte er die Musik schon früh als leidenschaftliches Hobby und Fluchtpunkt – um die alltäglichen Sorgen zu verarbeiten und in Sehnsüchte zu transformieren. In Songs wie »Weiße Stadt« oder »Panzersong« geht es um die großen Themen jener Zeit: Prekarität, Gentrifizierung – aber auch Liebeskummer, Ohnmacht und Wut. »Ich habe den Kummer um mich herum in Songs gepackt«, erzählt er. »Das Problem der Mainstream-Popkultur ist doch, dass sie die tatsächlichen, alltäglichen Probleme der Menschen nicht thematisiert. Das hat mich schon immer gestört.«

Aller Bedeutungsschwere zum Trotz ist seine Musik schon damals von einer klaren, einfachen Sprache geprägt – intellektueller Dünkel ist ihm zuwider. Mutieren die verrauchten Bars nach Mitternacht zunehmend in abgehobene Elfenbeintürme und philosophische Stammtische, sucht Acid folgerichtig lieber das Weite. Stattdessen bespielt er in jenen Jahren Solipartys und Kellerraves, Wagenburgen und besetzte Häuser, WG-Partys und Kundgebungen – Hauptsache laut und dreckig.

Seine Songs sind tanzbar, aufputschend und zugleich von einer poppigen Leichtigkeit geprägt. Zwar hat er ein Faible für Electro-Punk, doch ist der ihm oftmals zugleich zu stumpf und eintönig. So verbindet er ihn in seiner Musik kurzerhand mit eingängigen, fast schon Kinderlied-artigen Melodien, wie man sie etwa von Pop-Sternchen wie Blümchen aus den neunziger Jahren kennt, für die er eine heimliche Leidenschaft hegt. Damit reizt er die Toleranzfähigkeit der sich selbst als tolerant verstehenden, Punk-beeinflussten linken Subkultur mitunter empfindlich aus und wird durch seine wilde Mixtur zugleich unfreiwillig zum subkulturellen Brückenbauer: Denn für Punk ist seine Musik zu poppig, für Rave zu textlastig und für Pop zu schräg. Die Leute aber tanzen trotzdem – oder gerade deswegen.

Doch warum hat es eigentlich 20 Jahre gedauert, bis das Debütalbum erschienen ist? »Diese Frage wird mir aktuell natürlich oft gestellt«, sagt er – und wird plötzlich merklich ernster. »Bei mir hat es in den vergangenen 20 Jahren diverse Lebenskrisen gegeben. Es fing damit an, dass ich mich zu Beginn des Projektes für die Anschaffung neuer Synthesizer hoch verschuldet habe und die Kredite nicht mehr begleichen konnte, und hinzu kamen dann später private und auch psychische Probleme. Natürlich könnte ich in cooler Fuck-off-Manier sagen: ›Ich hatte vorher keinen Bock drauf‹, und das habe ich in bisherigen Interviews auch oft in der Art gesagt. Aber das stimmt eigentlich nicht. Ich hätte das Album gerne schon früher gemacht, aber habe es nicht geschafft.« Das Gespräch nimmt eine unerwartete Wendung. Wir fangen an, über die Problemlagen und Herausforderungen öffentlicher Kommunikation zu sprechen, und über den schwierigen Balanceakt zwischen Authentizität und Coolness, zwischen Diskretion und Offenheit. Was kann man der medialen Öffentlichkeit an Privatheit zumuten, und was sollte – oder möchte – man lieber für sich behalten? Acid gibt erst seit Kurzem Interviews, aber Fragen wie diese bereiten ganz sicher auch gewieften Medienprofis so manche schlaflose Nacht.

Ein Interview als ernstes Spiel mit offenen Karten. Ohnehin gebe es durch MeToo und andere Bewegungen zunehmend die Möglichkeit, sich auch öffentlich verletzlich zeigen zu können – »radical softness« heißt dieses Konzept. Acids Kummer ist zugleich auch der Kummer vieler anderer Menschen. Und um den zu artikulieren, ist er vor ziemlich genau 20 Jahren irgendwo in einem verrauchten Leipziger Keller schließlich das erste Mal auf die Bühne gestiegen.

■ Acid.Milch&Honig (OWTF Records): MC und CD seit 2. Juni erhältlich, LP ab August

Titelbild: Andreas Hornoff


Kommentieren


0 Kommentar(e)