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»Fehler sollten Anlass sein, besser zu werden«

Der Geschäftsführer des Deutschen Presserats, Roman Portack, im Interview 

  »Fehler sollten Anlass sein, besser zu werden« | Der Geschäftsführer des Deutschen Presserats, Roman Portack, im Interview   Foto: Deutscher Presserat

Roman Portack hat 2020 die Geschäftsführung beim Deutschen Presserat in Berlin übernommen. Im Interview sprechen wir mit ihm über die Funktion des Presserates, gute Fehlerkultur und den Umgang mit der aktuellen Kriegsberichterstattung.  

Sie sind seit mehr als drei Jahren Geschäftsführer des Presserats. Wie sind Sie eigentlich zum Presserat gekommen?  

Ich bin Rechtsanwalt von Beruf, habe Jura studiert und mich da auch schon früh mit Medienrecht befasst. Nach dem Referendariat habe ich mich auf eine Ausschreibung beim Presserat beworben und bin dort Referent gewesen. Dann bin ich in eine für das Presserecht spezialisierte Kanzlei gewechselt und war dort als Anwalt tätig. Im Zuge eines Wechsels in der Geschäftsführung bin ich dann gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, hier am Bewerbungsverfahren teilzunehmen, und das hat dann auch geklappt.  
 
Was ist der Unterschied zwischen Presserecht und Presseethik? 

Ich erkläre Presserecht und Presseethik gerne anhand eines Bildes von konzentrischen Kreisen. Da haben wir einen inneren mit den presserechtlichen Normen. Damit können Sie beispielsweise eine Unterlassung, Schadensersatz, eine Geldentschädigung oder eine Gegendarstellung durchsetzen. Das Presserecht umfasst einen etwas kleineren Regelungsbereich als den der Pressethik, hat dafür aber schärfere Sanktionen. Der äußere Kreis ist die Presseethik. Da fällt zum Beispiel das Verbot von diskriminierender Berichterstattung drunter. Bei solchen Verstößen kann man sich an die Beschwerdeausschüsse des Presserats wenden. Die können einen Hinweis erteilen, bei etwas weitergehenden Verstößen kann eine Missbilligung und bei schweren Verstößen eine Rüge ausgesprochen werden. Im Fall einer Rüge müssen die Leserinnen und Leser über den gerügten Beitrag informiert werden.  

Die Basis dafür ist der Pressekodex. Was umfasst das? 

Der Pressekodex beinhaltet die von der Branche verabschiedeten ethischen Standards für den Journalismus. Er legt Richtlinien für die journalistische Arbeit für unterschiedliche Bereiche fest, von der Achtung der Menschenwürde bis zur Unschuldsvermutung, vom Opferschutz bis zur Trennung von Werbung und Redaktion: Die 16 Ziffern des Pressekodex sind Grundlage für die Beurteilung der bei uns eingereichten Beschwerden.  
 
Welche Aufgaben hat der Presserat noch? 

Der Presserat ist außerdem für den bundeseinheitlichen Presseausweis zuständig. Sein Wert besteht darin, dass er von der Innenministerkonferenz anerkannt ist. Die zur Ausgabe berechtigten Verbände verpflichten sich dabei, eine genaue und gewissenhafte Prüfung durchzuführen, ob die Antragstellenden die Voraussetzungen für die Erteilung erfüllen, also hauptberuflich tätige Journalisten sind. Wir haben im Bereich der Presseausweise einen Wildwuchs von Ausweisen, die man im Internet bestellen kann und bei denen eine Prüfung unseres Wissens nicht gewissenhaft gemacht wird. Die Ausweise werden da gewissermaßen an jedermann ausgestellt, der dafür bezahlt. Das führt dazu, dass beispielsweise die Polizei mit Presseausweisen konfrontiert ist, bei denen sie nicht weiß, ob der Inhaber wirklich Journalist ist. 

In Zeiten von sozialen Medien und Blogs: Wie funktioniert es überhaupt, dass der Presserat abseits der einschlägigen auflagenstarken Medien kontrollieren kann, wer Journalist ist und wer nicht? 

Tatsächlich ist der Begriff Journalist nicht geschützt. Er ist weit und muss entsprechend weit ausgelegt werden. Ansonsten würde man die Pressefreiheit verletzen, wenn man Personen den Status als Journalist abspricht, weil sie vielleicht bei einem sehr kleinen Medium arbeiten oder weil sie nebenberuflich tätig sind. Das ist nicht unser Ansatz. Es lässt sich aber feststellen, ob ein Medium journalistisch redaktionell arbeitet oder nicht. Da gibt es Kriterien, die wir heranziehen. Insbesondere bei Großlagen und Demonstrationen ist es natürlich schwierig, als Polizei zum Beispiel festzustellen: Wer ist Journalist und wer nicht? Der bundeseinheitliche Presseausweis, der soll und kann dabei helfen. Selbstverständlich kann man auch auf andere Weise seinen Journalistenstatus nachweisen, beispielsweise durch ein redaktionelles Schreiben oder durch Arbeitsproben. Wir prüfen dann auch und verlangen das natürlich auch von anderen, speziell von den Behörden, solche Prüfungen gewissenhaft durchzuführen. Man darf Journalisten ihre Rechte nicht verweigern, weil sie vielleicht nicht in einem ganz klassischen und sofort erkennbaren journalistischen Bereich arbeiten.

Die Pressefreiheit ist im Grundgesetz verankert. Warum braucht es den Presserat? 

Justiz und Presserat funktionieren ganz unterschiedlich. Wenn Sie vor Gericht gegen einen Artikel vorgehen wollen, müssen Sie selbst davon betroffen sein. Beim Presserat hingegen haben wir eine sogenannte Jedermannbeschwerde. Das heißt, Sie können sich auch über einen Text beschweren, der Sie gar nicht betrifft. Außerdem kostet Justiz natürlich Geld, das heißt, Sie müssen die Prozess- und Anwaltskosten vorstrecken. Das Beschwerdeverfahren beim Presserat dagegen ist völlig kostenlos. Das alles führt dazu, dass uns Fälle erreichen, die bei der Justiz gar nicht ankommen. 

Was ist der Unterschied hinsichtlich der Konsequenzen? 

Bei der Justiz geht es darum, dass man eine Rechtsverletzung abstellt oder sanktioniert, beim Presserat darum, Öffentlichkeit für einen Verstoß gegen die Presseethik zu schaffen. Wir beim Presserat sind ja keine Richter. Die Beschwerdeausschüsse bestehen aus Verlegerinnen und Verlegern, Journalistinnen und Journalisten, die von den Mitgliedsverbänden des Presserats entsendet werden. Das heißt, die Entscheidungen werden quasi von Kolleginnen und Kollegen getroffen. 

Was antworten Sie eigentlich denjenigen, die den Pressekodex als Papiertiger bezeichnen?  

Wir sehen uns nicht als Verfahrensbeteiligte, sondern in einer objektiven Schiedsrichterrolle. Wir wollen keine Unterlassung erzwingen, sondern Öffentlichkeit schaffen. Die Redaktionen sollen sich die Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse angucken und sagen: »Möglicherweise haben die Kolleginnen und Kollegen, die da im Ausschuss über unseren Text befunden haben, einen Punkt. Das verstehen wir und werden so nicht mehr berichten.« Das, was die Beschwerdeausschüsse auswerfen, ist ja auch nichts anderes als eine Meinungsäußerung von einem paritätisch besetzten Gremium. Man kann immer auch anderer Meinung sein. Über die Öffentlichkeit versuchen wir zu einer Einsicht zu kommen oder Redaktionen zu einer Einsicht des eigenen Fehlverhaltens zu veranlassen. Wir wollen dafür sorgen, dass solche Dinge nicht mehr passieren.  

Wie sieht für Sie eine gute Fehlerkultur im Journalismus aus? 

Wer viel Output liefert, viel recherchiert und viel veröffentlicht, für den gehören Fehler dazu. Das ist quasi Berufsrisiko und nicht völlig vermeidbar. Auch bei der größten Sorgfalt wird das nicht gelingen. Ich halte es für richtig, damit transparent umzugehen, und glaube auch, dass das von Leserinnen und Lesern honoriert wird. Das ist auf Dauer kein gangbarer Weg, eigene Fehler unter den Teppich zu kehren. Vielmehr sollten Fehler ein Anlass sein, an die Fehlerquellen heranzugehen, sie zu beseitigen und besser zu werden.  

Wenn ich als Leserin einen Artikel sehe, von dem ich denke, dass er gegen den Pressekodex verstößt, und ich das melden möchte: Wie läuft das ab?  

Sie schauen sich an, gegen welche Ziffer des Pressekodex dieser Artikel möglicherweise verstößt. Dann gehen Sie auf unsere Website, füllen unser Beschwerdeformular aus und fügen den Beitrag als Screenshot oder PDF bei, oder den Link zum Online-Artikel. Und dann geben Sie bei Bedarf noch eine Datenschutzerklärung ab. 

Und dann?  

Zunächst findet eine Vorprüfung auf Vollständigkeit der Beschwerde statt. Da wird auch geprüft, ob wir zuständig sind, denn wir erhalten regelmäßig Beschwerden über Beiträge, die im Rundfunk erscheinen. Dafür sind wir aber gar nicht zuständig. Wenn die Vorprüfung abgeschlossen ist und sich der vorgetragene Sachverhalt auch als nicht offensichtlich unbegründet erweist, dann geht die Sache ins Verfahren und wird einem unserer Beschwerdeausschüsse zugeordnet. Die Beschwerde wird dann an die Redaktion weitergeleitet, die diesen Beitrag veröffentlicht hat, und die hat dann die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und mit dem Beschwerdeführer oder der Beschwerdeführerin eine einvernehmliche Lösung zu finden. Wenn das nicht klappt, wird die Beschwerde durch einen der Ausschüsse entschieden.  

Was wäre ein Beispiel für eine einvernehmliche Lösung?  

Die Redaktionen haben immer die Möglichkeit, das Verhalten oder die Äußerung, die beanstandet wird, von sich aus abzustellen. Ein greifbarer Fall ist, dass ein Text personenbezogene Daten enthält. Der Beschwerdeführer ist der Meinung, die dürfen da nicht rein, und die Redaktion schaut sich das an und überlegt sich: Hat er möglicherweise einen Punkt? Ist das ein Fall, in dem man auf Namen oder Adressen lieber verzichten sollte? Wenn die Redaktion der Meinung ist, da sind wir zu weit gegangen, dann kann es sein, dass sie den Namen abkürzen oder die Adresse herausnehmen. Wenn der Beschwerdeführer dann damit zufrieden ist, kann es sein, dass er seine Beschwerde zurückzieht. 

Haben sich die Beschwerden gegenüber dem Presserat über die Jahre verändert? 

Die gesellschaftlichen Debatten, die sich in den Medien widerspiegeln, spiegeln sich mit einiger Verzögerung auch bei uns wider. Das war beim Ukrainekonflikt so und ist auch beim Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten der Fall. Auf der »Hitliste« der Beschwerden steht die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 des Pressekodex ganz oben. Die Zahlen der Beschwerden sind eigentlich relativ stabil gewesen, mit Ausnahme der Corona-Jahre. Da haben wir außerordentlich viele Beschwerden bekommen. Da war das Interesse an den Medieninhalten sehr groß. Gleichzeitig hatten die Menschen auch Zeit, Medien zu konsumieren. Das hat fast zu einer Verdoppelung der Beschwerdeeingänge bei uns geführt. Allerdings wurden viele dabei gar nicht in den Beschwerdeausschüssen behandelt, weil sie die Vorprüfung nicht überstanden haben. Denn bei Corona gab es ganz viel, was gar nicht an den Presserat adressiert war oder wofür der Presserat nicht zuständig war. Außerdem waren viele Beschwerden relativ schlecht begründet.  

Bei der Berichterstattung über den Ukrainekrieg oder den Krieg in Israel und Palästina gab es viel Kritik über Bebilderung und Wortwahl. Man bekommt den Eindruck, der Pressekodex könne hier gar keine Orientierung bieten, oder? 

Da würde ich widersprechen. Wir haben unmittelbar nach dem Hamas-Angriff eine Pressemitteilung zum Umgang mit Bildern, insbesondere mit Darstellungen von Opfern herausgegeben. Es gab ja ziemlich viel Material von der Hamas oder Hamas-Anhängern, das Opfer dieser Angriffe zeigt. Die Gefahr dabei ist, dass man Opfer von Gewalt durch diese Darstellung in den Medien noch mal zu Opfern macht. Vor allem, wenn man Material benutzt, das von Tätern stammt. Eine ähnliche Pressemitteilung haben wir auch herausgegeben, als das Massaker von Butscha bekannt wurde. Der Umgang der deutschen Medien mit solchen Bildern von Opfern war danach sehr sensibel, danach haben wir auch kaum Beschwerden erhalten, die auf Bildmaterial fokussieren. 

Und abseits von Bildern? 

Der Pressekodex gibt natürlich nur ein abstraktes Gerüst, also sehr generelle Regeln. Man kann nicht jeden Einzelfall textlich regeln, sondern muss diese Einzelfälle anhand des Pressekodex prüfen. Das ist der Spruchpraxis der Beschwerdeausschüsse überlassen, die erfinden das Rad nicht jedes Mal neu. Die Spruchpraxis ist aber stabil, die kann man auch bei uns in einer Entscheidungsdatenbank einsehen (unter recherche.presserat.info, Anm. d. Red.).  

Lassen Sie uns abschließend den Blick noch mal etwas weiten: Welche Rolle spielt die Presse in unserer Gesellschaft? 

Mir ist wichtig, dass erkannt wird, welche Bedeutung eine freie Presse für die Demokratie hat. Es ist wichtig, dass wir über die Presse und die Medien Meinungen entwickeln und austauschen können. Wir können sehr glücklich sein, dass wir immer noch eine so vielfältige Medienszene haben und dank der Digitalisierung neue Entwicklungen möglich sind. Das müssen wir uns erhalten. Und wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass Journalismus nicht umsonst zu haben ist. Das kostet Geld, lohnt sich aber. Wir sehen, dass Journalismus nicht nur wirtschaftlich unter Druck steht, sondern ganz konkret auch auf Demonstrationen oder im Internet in Gefahr ist. Weil es Menschen gibt, die Journalisten verbal oder körperlich angreifen. Es ist wichtig, dagegenzuhalten und dafür zu sorgen, dass solche Angriffe auf die Pressefreiheit unterbleiben. 

INTERVIEW: ANNA HOFFMEISTER 


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